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crh 2017 05 18

Chancengleichheit
beim Zugang zu Wohlstand über Bildung und Ausbildung in Deutschland
von Dr.Christian Heinze

Zunächst: Deutschland stellt der gesamten Bevölkerung eine im wesentlichen staatlich finanzierte, prinzipiell gleiche Bildungsleistung an Grund-, höheren und Hochschulen zur Verfügung. Soweit Privatschulen höhere Leistungen anbieten, spielen sie eine marginale Rolle; die veröffentlichten Prozentzahlen schließen Angebote besondere Rahmenbedingungen oder Bildungskonzepte ein, enthalten aber keine Information über chancenrelevante Unterschiede. Die undifferenzierte Zugänglichkeit des Hochschulangebots ist in Deutschland quantitativ (Zahl der Studenten) sogar zu hoch, weil es (auf Kosten der Qualität für den einzelnen Studenten) sowohl den Bedarf des Landes als auch die Aufnahmekapazität der Studenten weit übersteigt. Verfehlt ist die Ansicht, die Zahl der Hochschul- Studenten sei Ausdruck eines Bildungswohlstandes, erstens sie zu wenig über den Bildungsstand der Absolventen aussagt, um eine solche Folgerung zu rechtfertigen, und zweitens weil Bildung an sich noch keinen Wohlstand schafft. Mittel zur beliebigen Vermehrung von Bildung über den durchschnittlich erreichten Standard hinaus durch Selbststudium sind online und in Bibliotheken reichlich und zu geringen Kosten zugänglich. Insoweit herrscht in Deuschland weitestgehende Chancengleichheit.

Sodann: Der Vorzug, den Kinder aus wohlhabenden Familien beim Zugang zu Bildung und Ausbildung zweifellos haben, beruht oft und insbesondere bei Akademikerkindern nicht auf deren finanziellem Ressourcen, die nicht selten nicht größer größer sind als die anderer Mittelständler einschließlich der Facharbeiter, sondern er besteht in der Bereitschaft und Fähigkeit der Eltern, Zeit und Energie für die Erziehung ihrer Kinder zu disziplinierter Leistung und Lernleistung und für deren Überwachung aufzuwenden. Sie findet sich gerade auch bei Eltern, die beruflich weit mehr als während der bei Arbeitern üblichen 40 Stunden in Anspruch genommen sind. Der Vorzug besteht vor allem auch auf der Motivationsleistung und Einwirkung der wohlhabenden und Akademiker-Eltern durch ihr Vorbild. Diese Eltern kennen ihre eigene Lernleistung und deren Ergebnis und wissen beides zu schätzen. Sie vermitteln Kenntnis und Wertschätzung ihren Kindern quasi "mit der Muttermilch". Akademikereltern und andere Eltern, die es durch Leistung zu Wohlstand gebracht haben, kennen Art ind Imfang und das Input-Output-Verhältnis von Lerndisziplin und Lernleistung aus eigener Erfahrung. Sie können es ihren Kindern daher leichter nahebringen, auch indem sie auf das eigene Beispiel verweisen. Oft übernimmt schon das Vorbild der Eltern einen Teil der Erziehung. Das macht "ausdrückliche" Anstrengungen insoweit überflüssig. Akademikereltern und andere beruflich erfolgreiche Eltern haben auch auf Grund ihrer eigenen akademischen oder Lebensbildung eher einen Sinn für die "besondere" Leistung als Preis für Erfolg - sei es aus materiellen, sei es aus ideellen Gründen (Elitebildung im Interesse des Gemeinwohls). Dann mag es sein, dass das (als Ergebnis seiner Erziehung) diszipliniertere und motiviertere Akademikerkind auch von Lehrern lieber gesehen wird, weil es besser auf ihre Bemühungen reagiert und weniger Arbeit macht. Diese Motivations- und Lehrleistung durch eigenes Vorbild, aber auch Erziehungsleistung aus eigener Erfahrung können Arbeitereltern manchmal schwerer erbringen. Manchmal haben sie auch Ressentiments gegen als "elitär" verrufenes Verhalten oder gar gegen eine "Klasse". Alldas ist deshalb besonders wichtig, weil der Anteil der Schule an Erziehung zu disziplinierter Lernleistung und Überwachung sowie Motivation allgemein zu gering ist *). Die insoweit bestehenden Mängel könnten dadurch verringert werden, dass das tägliche Zusammenleben der Akademiker- und Arbeiterfamilien enger gestaltet wird (gemischtes Wohnen mit Auswirkungen auf Kindergärten, Verkehr der Familien und Kinder miteinander).

Freilich ist richtig: Eltern, die nicht wenigstens dem Mittelstand angehören, ist im Unterschied zu anderen Eltern manchmal die Unterhaltung ihrer Kinder während der Ober- und Hochschulzeit nicht möglich. Dieser Umstand und etwaige "Mängel" der oben skizzierten Art sind ihnen und vor allem den Auszubildenden nicht vorzuwerfen, ausser dass die Eltern vielleicht selbst mit einer gewissen höheren Lebensanstrengung bessere Möglichkeiten zur Unterstützung ihrer Kinder, auch mit Hilfe höheren Wohlstandes, hätten erreichen können, was ihren persönlichen Bildungsbeitrag erleichtert hätte. Immerhin gibt es manche Arbeiterfamilie, die das mit (Selbst-)Hilfe der Kinder und durch Sparsamkeit schafft, ohne zu hungern oder zu frieren. Derartige Einschränkungen, um die Finanzierung des extrem teueren und überdurchschnittlich leistungsfähigen englischen Privatschulsystems zu ermöglichen, sind dort wesentlich stärker verbreitet als in Deutschland. Hier holen manche Arbeiterkinder, sobald sie durch Erwerbstätigkeit dazu in der Lage sind, die gewünschte Bildungs- und Ausbildungsarbeit aus eigener Kraft nach. Insoweit bestehenden Mängeln ist durch Verbesserung der (staatsfinanzierten) Schulleistung **) und durch Stipendien auf Grund Qualifikationsnachweis. Eine Mehrbelastung nicht vermögender Studenten durch eine Stipendien-Rückzahlungspflicht gegenüber den elternfinanzierten Studenten ist gerechtfertigt durch die Mehrleistung der Eltern, die den letzteren diese Unterhaltsleistung ermöglicht. Mängeln ist schließlich durch Leistungen der "Gesellschaft" zu begegnen, die aus ihr selbst heraus entstehen müssen. Beispielsweise wäre zu erwarten, dass sich Eltern während der Schulzeit der Kinder weniger oft scheiden lassen oder zumindest eine Trennung von den Kindern möglichst weitgehend vermeiden, weil Trennung die Chancen der Kinder enorm vermindert. Gewiss gibt es generelle Hindernisse für ideale Bildungsergebnisse, die außerhalb der Sphären der Eltern und Auszubildenden liegen. Das ist ein weites Feld von Aufgaben, für die der Staat und die Bevölkerung als sein Träger in der Pflicht stehen.

Gewiss ist auch richtig, dass viele der vorstehenden Beobachtungen auf manche wohlhabende Eltern und auf ihre Kinder nicht zutreffen. Es trifft zu, dass in einem freien Bildungs- und Ausbildungssystem fehlende Elternleistungen für Geld eingekauft werden können. Das schadet niemandem sondern erhöht die Mittel zum Ausbau und zur Verbesserung von Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen. Die insofern bestehende Benachteiligung weniger vermögender Eltern und Kinder ist ein Resultat freier Marktwirtschaft. Verteilungsunterschiede gehören ebenso zu ihrem System wie die Freiheit zur Verwendung ihrer Ergebnisse, die im Gemeinwohlinteresse mit Recht aber ausreichend, etwa durch Steuerpflichten beschränkt ist. In einem System autonomer Produktion und Verteilung, das bessere Ergebnisse für Gemeinschaft und alle Einzelnen erzielt als alle anderen Systemen dieses Gegenstandes, erstreckt sich die Freiheit auch auf den Einkauf von Bildung und Ausbildung. Auf die Bewertung der oben erörterten allgemeinen Unterschiede beim Zugang zu Bildung und Ausbildung hat das keinen Einfluss.

Schließlich ist nicht zu übersehen, dass genetische Begabungen ihren Träger bevorzugen und ihnen ungleiche Chancen vermitteln. Manchmal mag dieser Vorzug genetisch auf außergewöhnliche Begabung der Eltern zurückgehen. Dieser Vorzug (bezw. sein Mangel) kann durch andere Begabungen und, was Bildung und Ausbildung betrifft, durch den weniger Bevorzugten oder durch Helfer auch anders, etwa durch zusätzlichen Fleiß, auch durch Erziehung und Lernhilfe bis zu einem gewissen Grade ausgeglichen werden. Solche Ausgleichsmaßnahmen haben ihren festen Platz in den meisten Bildungs- und Ausbildungssystemen. Sie haben Grenzen, die von der Natur und der Gesellschaft gesetzt werden.


*) Machen wir uns nichts vor: der Anteil des Vergnügens an Zeit und Energie der Jugend am Anfang des 3. Jahrtausends (und schon zuvor) ist im Vergleich zum Bildungs- und Ausbildungsaufwand im Durchschnitt zu hoch, derjenige an disziplinierter Lernleistung gemessen am Vergnügen zu niedrig. Auch bei der Verwendung ihrer finanziellen Mittel geben auch wenig vermögende Eltern und Kinder oft dem Vergnügen zu großen Vorzug. Als Ergebnis wird die Jugend (wie die älteren Generationen) doppelt beraubt: es sinkt der Wert des konkreten Vergnügens, und Freude am (keineswegs nur wirtschaftlichen) Erfolg als Ergebnis von Antrengung findet weniger statt, es verringern sich auch Anlässe für beide Teile beglückende Dankbarkeit der Kinder für die Anstrenungen der Eltern zu Lasten des Familienzusammenhalts mit generationenübergreifenden Folgen.

**) Der "Stellenwert" von Motivation und Disziplin ist gemessen am Bedarf an Bildung und Ausbildung allgemein zu niedrig - in Schulen und Familien. Das hängt mit mit den Lebensgewohnheiten einer Wohlstandsgesellschaft und einem Mangel an Wahrnehmung von Ursachen und Wirkungen sowie mit einer zu starken Zurücknahme der Eltern- und Schulgewalt gegenüber Minderjährigen zusammen. Hinzu kommt die Fragwürdigkeit der Eignung mancher Lehrinhalte und -Formen zur Motivation.


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